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Quirrestraße 10 1,2,3,4 Eckstein

1,2,3,4, Eckstein, alles muss versteckt sein, hinter mir und vorder mir gibt es nicht ich kooomme. Ja, so spielten wir früher ungestört in der Quirrestraße, denn Autoverkehr gab es nur sehr eingeschränkt. Früher war es ungefährlich auf der Straße zu spielen, heute wohne ich in einer Spielstraße und hier liegt mehr Verkehr drauf als in der Quirrestraße damals. Ja, damals waren fast alle Straßen Spielstraßen, allerdings ohne besonderes Schild. Etwas übertrieben gesagt, lag nur auf den Hauptverkehrsstraßen mehr Verkehr als auf unserer heutigen Spielstraße.

Verstecken spielen war einer unserer Favoriten. Die Begrenzung zwischen Haus 11 und 13 war unser strategisch klug gewählter Abschlagstein. Von hier hatten wir die Möglichkeit uns auf dem Spielplatz, dem Rosenplatz, in der Asseburgstraße z.B. hinter der Litfaßsäule zu verstecken und in beide Seiten der Quirrestraße zu entschwinden. Ja, wir wollten es dem Fänger schwer machen.

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Blick auf Quirrestrasse 11 und 13, links neben der Garageneinfahrt unser Abschlagstein (im Hintergrund die 3 warmen Brüder von Linden

Ich erinnere mich noch an einen meiner Glanzmomente bei diesem Spiel in der Quirrestraße. Wir waren in etwa 10 Kinder und einer der „Großen“ musste suchen. Eigentlich unter seiner Würde, aber er wurde beim letzten Spiel halt als erster gefunden. Das Spiel ging so: Der Sucher musste mit dem Rücken zur Straße, die Augen verschlossen, bis zu einer bestimmten Zahl zählen, soweit er schon zählen konnte. Nachdem er dann 1,2,3,4 Eckstein …. laut gerufen hatte durfte er gucken und sich umdrehen.

Sobald er ein Kind gesehen hatte musste er, mit der Hand am „Abschlagstein“ zwischen Haus 11 und 13 den Namen des Kindes rufen und wo es war. Derjenige musste dann sein Versteck verlassen und hoffen, dass eines der noch nicht gefundenen Kinder ihn freischlägt. Das konnte einer der „Versteckten“ damit erreichen, indem er, bevor er vom Sucher gefunden wurde, den „Abschlagstein“ erreichte und laut rief „frei für alle“. Dann musste der Sucher erneut zählen und alle konnten sich wieder verstecken. Ich bin mir sicher, dass habt ihr auch alle gespielt.

Doch jetzt zurück zu meiner Heldentat. Alle Kinder waren gefunden, nur Deti, damals noch Detlef, versteckte sich noch in relativer Nähe zum Abschlagstein hinter einem schmalen Busch auf dem Rosenplatz. Heute hätte der Busch nicht einmal die Hälfte, ach was sag ich, ein Drittel, meines großflächiger gewordenen Körpers verdeckt, aber damals war ich praktisch unsichtbar.

Jetzt galt es nur noch den richtigen Moment abzupassen, denn der „Große“ war natürlich viel schneller als ich. Entsprechend leicht hat er die Aufgabe genommen und sich immer weiter vom Abschlagstein entfernt. Dann kam der Moment, ich sah meine Chance, wie im Trance sprang ich hinter dem Busch hervor, die zu überbrückenden 12 Meter kamen mir wie der Hannover Marathon vor. 2 Meter konnte ich ohne gesehen zu werden zurücklegen, doch dann sieht er mich. Mit einem zufriedenen lächeln setzt sich der Große in Bewegung. Und er holt Meter um Meter auf. Noch 8 Meter, verzweifelt lege ich noch etwas drauf, der Große glaubt noch an den sicheren Sieg. Noch 6 Meter, ich laufe so schnell wie nie zuvor, im Gesicht des Großen kommen Zweifel auf, der Kleine wird doch nicht. Noch 4 Meter, meine Füße bringen den Asphalt zum Glühen, der Große zeigt erste Verunsicherung. Noch 2 Meter, ich renne um mein Leben, das Gesicht des Großen verzerrt sich zu einer hässlichen Fratze, er sieht seine Felle schwinden. Die Kindermeute schreit und feuert mich an. Mit allem was ich hatte, sprintete ich dem Ziel entgegen und erreichte es mit Müh und Not, meine Hand war eher am Stein und laut schrie ich „frei für alle“. Riesenjubel brach in der Kinderschar aus, Deti war der Retter und der „Große“ musste erneut ran. Ach, was für ein Erfolgserlebnis. 

Aber wir hatten noch viel mehr Spiele auf Lager. Vom Fußballspiel auf ein kleines Loch habe ich bereits in der Episode „der Hundebiss“ berichtet. Aber das war noch nicht alles.

Beliebt war auch Kantenwerfen. Das Spiel ging zu zweit, dabei stellten wir uns gegenüber, jeder auf einer Straßenseite und versuchten mit dem Ball die Bordsteinkante so zu treffen, sodass der Ball wieder auf die eigene Seite kam. Gelang einem das, bekam man einen Punkt. Einen Doppelpunkt konnte man erzielen, wenn der Ball dann noch gegen die eigene Bordsteinkante ging und wieder zum Gegner rollte. Ich bin mir sicher, dass dieses Spiel heute niemand mehr spielt, denn wo finden zwei Kinder zwei gegenüberliegende Bordsteine, die nicht zugeparkt sind. Damals war das möglich und wir hatten unseren Spaß.

Natürlich bemalten wir die Straße auch mit Hinkelkasten, hier hatten wir zwei Versionen:

Hinkelkaesten 

Ob die Zahlenanordnung wirklich so war, weiß ich nicht mehr wirklich so genau. In Wikipedia etc. sehen die Kästen anders aus, in meiner Erinnerung sind sie aber so, wie ich sie hier skizziert habe. Na, wer kennt noch die Spielregeln?

Natürlich gehörten auch Roller-, Radrennen und einfache Wettläufe, einmal um den Block, zum täglichen Repertoire. Als letztes ein Geheimnis, jetzt dürft ihr aber nicht weiterlesen, wir Jungs haben auch, wenn keiner guckte, mit den Mädels Gummitwist gespielt, aber diese Info ist natürlich nur inoffiziell und darf nicht weiter verwendet werden.

Wir Kinder, die Kinder der Quirrestraße, Platenstraße, Asseburgstraße, Noltestraße, Lüdenstraße und auch der Sudersenstraße waren eine Gemeinschaft, unser Treffpunkt war die Straße. Ein Treffpunkt den es nach meiner Einschätzung heute immer weniger gibt, schade eigentlich, aber natürlich normal, beim heutigen Verkehrsaufkommen.

Rollerrennen0001  auf der Strasse0001

Wir waren nicht die ersten Kinder in der Quirrestraße, die hier gespielt haben. Meine liebe Mutti hat auch viele Erinnerungen aufgeschrieben, sie hat mir erlaubt diese auch in meinem Blog zu verwenden. Da ich weiß, dass es Leser wie Volker aus der Noltestraße 15 gibt, denen meine Geschichten gefallen und sie dadurch Momente der eigenen Kindheit in Linden und vielleicht auch anderswo erneut erleben, habe ich mich entschlossen auch aus ihren Geschichten Teile zu veröffentlichen.

Ihre Geschichten handeln u.a. von großen Schatzsuchen und wie man als Kind, auch unter aus heutiger Sicht schlechtesten Bedingungen, seinen Spaß haben kann. Mich haben ihre Worte berührt und bewegt. Hier die erste Veröffentlichung zum Thema leben und spielen in der Quirrestraße von Handy Helga:

Am 1.9.1938 bin ich im Alter von 9 Jahren, mit Mutti, Papa und meinen Geschwistern Martchen und Willi nach Linden in die Quirrestraße 10 gezogen.  Das Haus war gerade fertig gebaut, wir hatten die Parterrewohnung  bekommen, es waren 3 Zimmer, Küche, Bad und ein kleiner Balkon. Wir waren zufrieden, Papa, Martchen und Willi hatten jetzt nicht  mehr solch einen weiten Weg zur Arbeit.

Bei unserem Einzug war die Quirrestraße noch nicht fertig. Die Fahrbahn war noch festgefahrene Erde, nur die Bürgersteige und die Abwasserkanäle waren fertig. Zur Freude von uns Kindern kamen kurz nach unserem Einzug große LKWs und brachten Schottersteine, jetzt hatten wir Kinder Abwechslung. Die Steine hatten  zum Teil so blanke Linien, für uns war das Silber. Also wurden Steine mit Silberstreifen gesucht und unser Schatz wurde nach Haus geschleppt. Dort wurden wir aufgeklärt, dass es kein Silber war. Enttäuscht trugen wir unseren Schatz wieder auf die Straße. Am nächsten Tag, kam eine Walze und machte unseren Schatz platt. Danach kam der Teerwagen, und unsere Straße  bekam eine Teerdecke, der Schatz liegt wahrscheinlich noch immer unter dem Teer.

Jetzt konnten  wir endlich wieder über die Straße laufen. Meine Freundin Irmgard wohnte doch auf der anderen Seite. Unsere neue Straße war prima, wir konnten hier Rollschuh laufen und brauchten dafür nicht mehr in die Windheimstraße gehen, die hatte nämliche  als einzige Straße eine glatte Straßendecke. Die anderen Straßen  waren noch mit Kopfsteinpflaster. Anmerkung Deti: Ist schon interessant, in meiner Jugend gingen wir zum Rollschuh laufen auch in die Windheimstraße, denn dort gab es einen Rollschuhplatz, der heute noch existiert, allerdings fährt dort niemand mehr Rollschuh.

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Der Rollschuhplatz in der Windheimstraße heute

Da, wo heute der Spiel- und Rosenplatz ist, waren damals noch Gärten, die allerdings schon gekündigt waren. So wurden noch vor Kriegsbeginn beide Plätze angelegt. Dann brach der Krieg aus, unser Haus war das letzte das noch vorm Krieg in der  Quirrestraße fertig gestellt wurde. Für das Haus in der Quirrestraße 12 war schon der Keller ausgeschachtet, aber dann hieß es: ,,Baustopp bis zum Kriegsende".

Der Krieg ist am 1.9.1939 ausgebrochen und der Bauplatz  blieb unbebaut. Für uns Kinder eine tolle Sache, wir konnten buddeln, Burgen bauen und tiefe Höhlen ausgraben, ach, hat das Spaß gemacht.

Mutti Quirrestrasse 100001web

Bauplatz Quirrestraße 12 1939

 Mutti Quirrestrasse 100004web

Mutti steht mit ihren Freundinnen im Winter 1939 auf dem Bauplatz Quirrestraße 12, Jahre später haben wir dort Fußball gespielt und an der Laterne hat mich der Hund Lumpi gebissen (siehe der Hundebiss) 

Das war 1939, im Winter haben wir uns an den erhöhten Seiten Rutschbahnen und eine kleine Rodelbahn angelegt, auf der wir mit dem Schlitten runter gefahren sind. Es war ja nur eine kurze Fahrt aber es hat uns Spaß gemacht.

Anmerkung Deti: Auch wir hatten einen Bauplatz als Rodel- bzw. Gleitschuhbahn. Der Westschnellweg war damals im Bau und die Brücke über die Limmerstraße wurde gerade gebaut. Der Damm des Westschnellwegs diente uns im Winter an dieser Stelle als Piste, Da es damals noch keinen Herminator gab, war ich der Detiminator, wir hatten unseren Spaß.

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Unser damaliger Rodel- und Gleitschuhberg am Westschnellweg / Limmerstraße, direkt am Freizeitheim

1941 war die schöne Zeit vorbei, wir wurden fast alle wegen der vielen Bombenangriffe getrennt und in KLV Lager (Kinder Land Verschickung) gebracht. Wir haben in der Quirrestraße trotz des Krieges eine schöne Zeit gehabt.

Hier noch einige Bilder aus der Kinderzeit meiner Mutti.

Kinder mit Mutti0001web Kinder mit Mutti0002web 

In den Erzählungen meiner Mutter spielt der Krieg auch eine große Rolle. Natürlich könnte ich diesen Teil einfach auslassen, da er aber mit dazu gehört, auch wenn ich ihn nicht miterleben musste, habe ich hier noch einen kurzen Auszug aus ihren Aufzeichnungen. In der Nacht vom 08 auf den 09.Oktober 1943 gab es die schwersten Bomebenangriffe auf Hannover, noch heute nennen die Hannoveranner diese Nacht "die schwarze Nacht". Meine Mutter hat mir ein Erlebnis geschildert, dass nach meiner Einschätzung am 26.07.1943 stattgefunden haben muss, dem ersten Tagesangriff auf Hannover. Hier sind ihre Erinnerungen an diesen Tag. Doch dazu mehr in einem späteren Kapitel.

1945 die Amis standen am Lindener Hafen. Weil es immer noch Leute glaubten den Krieg gewinnen zu können, wurde Widerstand geleistet. Natürlich schossen die Amis zurück. Alarm, ich schnappe mir Püppi 1/2 Jahr alt (Anmerkung Deti: Püppi war meine Kusine) und will mit ihr in den Keller. Ich mache die Flurtür auf, da knallt es fürchterlich. 10 Minuten bevor für uns der Krieg beendet war, hat, eine Rakete unser Haus getroffen. In der 1.Etage auf der Oberseite war einriesiges Loch und ich war mit Püppi  auf dem Arm auf den Flur zurück geworfen. Wir sahen beide wie Schneemännchen aus! Wir waren mit Kalkstaub überzogen. Aber sonst war uns nichts passiert. Im Keller warteten wir dann auf den Ami.

Kurz darauf waren die Amis da. Ach, hatte ich eine Angst, es waren Farbige (früher sagten wir noch Schwarze) dabei. Man hatte uns die tollsten Schauermärchen über die Farbigen erzählt. Ich kann sagen, dass alle sehr nett zu uns waren. In den Häusern der Quirrestraße 9 und 11 wurde die amerikanischen Soldaten einquartiert. Auch unser Haus musste trotz des Einschusses geräumt werden. Das große Loch in der Hauswand war ein guter Abzug für den Qualm der Gulaschkanone. Dann kam ein Soldat und teilte uns mit, dass auch wir die Wohnung zu räumen haben. Ich hatte gerade Püppi auf dem Arm, da nimmt der Ami mir doch das Kind weg, herzt und drückt es. Er sagte immer nur: "Ich zu Hause auch Baby, ich noch nicht gesehen, ich bald nach Hause zu meine Frau, wenn Krieg aus ist. Am Anfang hatte ich Angst, dass er dem Baby etwas antut, aber er war nur lieb und nett zu uns.

Püppi hatten wir es auch zu verdanken, dass wir 4 statt 2 Stunden Zeit hatten die Wohnung zu räumen. Wir sind dann in die Rodenstraßen zu Muttis Bruder Willi gezogen. Wie wir da mit 8 Personen plus Baby reingepasst haben, in Stube, Kammer und Küche ist mir bis heute ein Rätsel. Papa mußte mit den Amis im Jeep überall hinfahren und ihnen alles zeigen. 

Nach ca. 4 Wochen konnten wir alle wieder in unsere Wohnunen. Die Amis hatten sich wirklich gut verhalten, nur mein Netz mit den Bällen war weg, damit hatten sie auf dem Hof Fußball gespielt. Selbst meine Möbel aus der Puppenstube hatten sie wieder aufgestellt. Anmerkung Deti: Heute stehen die Gegenstände der Puppenstube auf unserem historischen Buffet im Wohnzimmer zur Deko und sind ein echter Hingucker (siehe Bild)

Puppenstube

Ja, auch unser Haus in der Quirrestraße 10 wurde getroffen, die Bewohner kamen aber noch glimpflich davon. Vom Einmarsch der Amerikaner habe ich noch einige Zeitberichte und Aussagen von Zeitzeugen, die mir die Medienanstalt Linden freundlicherweise erlaubt hat hier zu veröffentlichen. Hier findet ihr die Videodokumentation Die vollständige DVD Lindener Filmgeschichten könnt ihr für 20,- € im Buchhandel (z.B. Decius in der Falkenstraße) erwerben.