Hat Fanny Meyer das gewollt? Fanny Meyer, Ehefrau von Adolph Meyer, dem Mitbegründers der Mechanischen Weberei in der Blumenauerstraße, ist die Namensgeberin der berüchtigten Fannystraße, die im unteren, andere sagen oberen Teil von der Limmerstraße abgeht. Die Fannystraße steht heute im Mittelpunkt der Limmerstraßen-Saga.
Die Fannystraße bildete mit der Mathildenstraße und auf der anderen Seite der Kochstraße, den sozialen Brennpunkt in den 50- und 60-iger Jahren. 1854 wurden hier 28 Reihen- und Logierhäuser für die Arbeiter der aufstrebenden Weberei gebaut.
In einigen Aufzeichnungen wird das Leben in den Straßen ein wenig glorifiziert, was nach meinen Erinnerungen nicht angebracht ist. Das Leben auf dem beengten Wohnraum war hart. Zwei Familien teilten sich das Plumpsklo auf halber Treppe, in den Hinterhöfen wurde jeder Meter Platz bebaut, sodass eine Intimsphäre nicht gegeben war.
In meiner Jugendzeit kamen die schlimmsten Schlägertrupps genau aus diesen Straßen und egal wie sich diese Banden zusammensetzten, es waren immer die Typen aus der Fannystraße. Nicht umsonst wurde das Viertel von den Hannoveranern verächtlich Nachtjackenviertel genannt.
Ende der 60-iger, Anfang der 70-iger Jahre, hatte man anscheinend die Schnauze voll. Man siedelte die aufsässigen Arbeiter unfreiwillig in die neuen Hochhausviertel nach Garbsen um, was dem damaligen Ruf Garbsens auch nicht wirklich einträglich war. Dann radierte man die Fannystraße einfach aus.
Was ich erstaunlich finde ist, dass ich die Fannystraße sehr negativ in Erinnerung habe, aber einige Quellen im Rahmen des Abrisses immer wieder von der „Zerstörung einer eigenen, erhaltenswerten Kultur“ sprechen. So findet man im Freizeitheim Linden diese Tafeln, die ihren Schwerpunkt nicht auf die unwürdigen Verhältnisse legen, sondern vielmehr das traditionsreiche Kinderfest in den Mittelpunkt stellen.
Im Freizeitheim Linden gibt es im Keller eine sehr kleine Ausstellung über das Leben in Linden früher. U.a. werden dort auch Rezepte von früher ausgehängt, besonders erstrebenswert erschien mir das Rezept für Heringskartoffeln mit Hafergrüzsuppe und Korinthen (oben rechts).
Mit dem Abriß verlor das Viertel zwar seinen unrühmlichen Ruf, aber wirklich schöner gemacht hat man die Ecke auch nicht. Da, wo früher die Fannystraße die Fössestraße mit der Limmerstraße verband, entstand ein hässlicher Wohnblock, auch Tobleroneblock genannt, im Stil der 70-iger Jahre Architektur. Er passte damals nicht zur Limmerstraße und heute auch nicht.
Aber etwas aus der Fannystraße hat bis heute Bestand. Die Gaststätte Lorberg, ein damals beliebter Treffpunkt der Anwohner, wurde im Rahmen des Abrisses aller Häuser der Fannystraße um einige Meter verlegt und existiert noch heute an der Ecke Mathilden- / Pavillionstraße. Allerdings wird die Gaststätte nicht mehr von der Familie Lohrberg betrieben. Für die Helden der Limmerstraße beim nächsten Gastrotest ein unbedingtes Muss.
Als die Fannystraße dem Erdboden gleichgemacht wurde, fiel u.a. auch das Haus in der Limmerstraße 17 der Abrissbirne zum Opfer. Hier war die Bäckerei Kattwinkel beheimatet, die zu seiner Zeit angeblich das beste Gersterbrot Lindens gebacken hat.
Gersterbrot, für mich das Brot schlechthin. Umso überraschter war ich vor vielen Jahren, als wir in Hamburg bei Urlaubsbekannten waren und wir auf Brotsorten zu sprechen kamen. Den Leuten war Gersterbrot kein Begriff. Wir gingen sogar in zwei Bäckereien, weil ich das nicht glauben wollte, aber auch hier traf ich nur auf verständnislos dreinschauende Bäcker. Ich habe damals an mehreren Orten in Deutschland immer mal wieder nach Gersterbrot gefragt, aber nur im Raum Hannover gibt es dieses leckere Brot. Ein Grund um hier zu bleiben. Bäcker gibt es auf der Limmerstraße wie Sand am Meer, alleine in diesem kurzen Abschnitt habe ich 3 Bäckerläden gezählt.
die kleine Bäckerei an der Ecke aus Lindener Sicht die Großbäckerei Der Selbstbedienungsladen
Nachfolgend findet ihr die Erklärung zum Gersterbrot aus Wikipedia:
Gersterbrot ist ein Spezialbrot aus Sauerteig mit Hefezusatz. Es handelt sich dabei um ein Roggenbrot oder Roggenmischbrot, das einem zweistufigen Gär- und Backverfahren unterzogen wird. Die Blockform wird durch Anschieben der Laibe nach der Vorwärmzeit im Gärkörbchen geschaffen. Dann werden die ausgeformten und vor der Ofenhitze gut getrennten Brotlaibe angeschoben, das heißt dicht an dicht zusammen gebacken. Die angetrocknete Seite bleibt daher weich. Auf die ausgeprägte obere Kruste wirken Gasflammen ein und verursachen eine charakteristische dunkle Sprenkelung. Eine glänzende Oberfläche wird durch Bestreichen mit einer Kochsalzlösung vor dem zweiten Backabschnitt erreicht. Das Brot hat einen kräftigen Geschmack.
Der Wortbestandteil „Gerster“ wird auf das Verbgerstern, gersteln bzw. gesseln zurückgeführt, das sich auf das Herstellen einer ausgeprägten Brotrinde im Ofenfeuer bezieht. Es besteht also keine Beziehung zu der Getreideart Gerste.
Früher wurden die Teiglinge für eine stärkere Kruste und damit längere Haltbarkeit noch während des Brennvorganges in direkt beheizte Öfen geschoben und kamen dabei in Kontakt mit den offenen Flammen.Heute wird der gleiche Effekt durch das Abflämmen der Laibe mit einer offenen Gasflamme noch vor dem Backen erreicht. Das Abflämmen kann mit Hilfe eines Gersterapparates oder eines Gasbrenners erfolgen. Typisch sind Schrägschnitte an der Brotoberfläche und weitere Längsschnitte an Seite und Boden, die verhindern sollen, dass die Kruste aufreißt.
Das Gersterbrot gilt in der Region Hannover sowie in Bremen als Spezialität.
Heute gibt es direkt neben dem hässlichen Bau mit den orangenen Balkons eine kleine gemütliche Konditorei, hier fühlen sich die Lindener wohl. Ob sie die immer mehr werdenden Backfactories irgendwann mal akzeptieren, muss zumindest angezweifelt werden. Als kürzlich die hannoversche (Groß-)bäckerei Göing in diesem Teil der Limmerstraße eine Filiale eröffnete, stieß sie bei einem Teil der Bevölkerung auf heftigen Widerstand, „Konzerne“ sind auf der Limmerstraße nicht wohl gelitten.
Ansonsten reiht sich auf der linken Seite, stadtauswärts gehend, ein internationaler Fresstempel nach dem anderen. Italiener, Türken, Thais, Japaner und Deutsche betreiben hier ihre Restaurants, Fastfood-Tempel oder wie immer ihr es nennen wollt. Gerade in diesem Abschnitt ist Multikulti eine Selbstverständlichkeit. Nur die Briten will man nach dem gerade erfolgten Brexit nicht mehr hereinlassen, sollen sie doch auf ihrer Insel einsam verhungern. In keinem Teil der Limmerstraße gibt es so häufig die Möglichkeit gemütlich draußen zu sitzen, spätestens hier ist man Süden Europas angekommen.
Leider entarten die Grafitis in diesem Teil der Limmerstraße doch vermehrt zu unansehnlichen Schmiereien, was ich einfach nur schade finde.
Als Letztes ist mir an der Ecke Limmerstraße / Kochstraße aber doch noch eine, wie ich finde sehr anziehende Leuchtreklame ins Auge gefallen.