Sonntag der 28.02.1965 oder Die Limmerstraße
Es ist Sonntag der 28.02.1965, auf den Kirchgang wird verzichtet. Papa geht lieber mit seinen Jungs auf den Sportplatz von Linden 07. Schon früh soll der Grundstein für eine hoffnungsvolle Profikarriere seiner Jungs als Fußballer bei 96 gelegt werden. Wir spielten noch in der Straßenmannschaft der Quirrestarße, 96 spielt gerade in seiner ersten Bundesligasaison und hat am letzten Wochenende 3:0 beim kommenden Meister Werder Bremen verloren, trotzdem wurden die Roten damals sensationell Fünfter. Heute spielen beide darum nicht direkt abzusteigen, wie sich die Zeiten ändern.
Den Anschauungsunterricht sollten uns an diesem Tag die 7-te Herrenmannschaft der Lindener gegen die 6-te von Borussia auf dem Ascheplatz der Lindener geben. Linden wurde von Hurrikan Korhut trainiert, der Mann war hoffnungslos überfordert. Jahre später fragte bei Linden ein gewisser Tayfun Korhut an, er wolle die Arbeit seines Vaters bei der 7-ten in Linden fortsetzen. Linden hatte Glück, denn man ist froh, dass man eine zweite Mannschaft zusammen bekommt, so konnte man ihm absagen, was leider dazu führte, dass Tayfun bei 96 Unterschlupf fand.
Unsere Mutter, ganz brave Ehefrau, hielt sich an diesem Sonntag da auf, wo es sich damals für eine anständige Ehefrau gehörte. Am Herd bereitete Sie das Sonntagsessen vor, das immer was Besonderes war, denn es war ja Sonntag. In der damaligen Zeit gab es sonntags Schweinbraten mit Sauerkraut und Kartoffeln, zum Nachtisch eingemachte Kirschen. Im Wechsel gab es statt Schwein, Rind, statt Sauerkraut, Rotkohl, statt Kartoffeln, Klöße. Beim Dessert gab es dann aber mehr Abwechslung. Alles hatte seine Ordnung und es war immer gut und mit viel Liebe zubereitet.
Aber jetzt zurück in die Welt der Männer, die damals für diese noch in Ordnung war. Die Teams machen dem interessierten Zuschauern klar, dass es sich beim Fußballspiel kein Bewegungsspiel, sondern vielmehr ein Stellungsspiel ist, heute nennt man es Ballbesitz. Trotz der kalten Temperaturen, wird jeder unnötige Meter vermieden. Den Zuschauer stört es nicht, denn die 7-te aus Linden ist für sie die attraktivere Alternative zum Kirchgang.
Die mit dieser Taktik überforderten Lindener enttäuschten mal wieder auf ganzer Linie und die Partie ging mit 0 : 5 verloren. Konnte ja auch nicht gut gehen, denn der Dicke im Tor füllte zwar gut den Raum des Tores, war ansonsten aber beweglich wie ein Wal an Land. Da Hurrikan auch in der Folge nicht in der Lage war, sein einziges System zu ändern, war der Weg in den Abgrund für die 7-te vorgezeichnet, schade. Wir sahen im Anschluss noch die erste Halbzeit der aufstrebenden 5-ten der 07-er, aber dann mussten wir schon nach Hause, denn pünktlich um 12:30 Uhr müssen Muttis Männer am gedeckten Tisch sitzen. Alles hatte seine Ordnung.
Nach dem Essen kam dann für Uwe und mich die Höchststrafe. Es ging nicht zum Spielen nach draußen, dass schickt sich nicht am Sonntag, es ging zum Spaziergang auf die Limmerstraße. Die Limmerstraße war nicht unser eigentliches Feindobjekt, denn obwohl die Geschäfte geschlossen hatten, konnten wir uns vom ausgestellten Spielzeug inspirieren lassen. Hier wurde die Grundlage geschaffen für „womit nerven wir Mutti nächste Woche, was müssen wir unbedingt haben“.
Das Problem waren vielmehr die Klamotten die wir anziehen mussten, am Sonntag hat man die Sonntagshose an, den Mantel und … Genau vor diesem „und“ wollten wir uns drücken und so ging es schnell runter auf die Straße. Doch wir kamen nicht weit, der Ruf Dettttlef schallte durch das Treppenhaus und das harte tttt zeigte mir deutlich, Widerstand ist zwecklos, du musst es über Dich ergehen lassen.
Das „und“ war dann der Hut mit Feder, obwohl es das Wort damals noch nicht gab, unglaublich uncool. Aber es ging uns nicht alleine so, auch viele unserer Freunde mussten diese optischen Beleidigungen über sich ergehen lassen. Jeder versuchte vom anderen nicht gesehen zu werden. Ein Lichtblick aber blieb, nach dem Sonntag folgte der Montag und da wurde Hut mit Feder mit dem Fußball getauscht.
Diese aus heutiger Sicht schönen Erinnerungen an eine glückliche Kindheit, haben mich auf die Idee gebracht, nach vielen Jahren mal wieder die Limmerstraße rauf und runter zu gehen und in alten Erinnerungen zu schwelgen. Mit dabei hatte ich meinen Fotoapparat und so konnte ich meine Eindrücke von Sonntag dem 28.02.2016 im Bild festhalten. Mit den Erinnerungen an den Sonntag im Februar 1965 möchte ich Euch auf das Ergebnis dieser Fotosession einstimmen. Die Fotos werde ich dann in den nächsten Tagen mit ein paar Anmerkungen oder Geschichten einstellen.